Dokumentation

Zwischenbilanztagung Frühe Hilfen „Guter Start für Hamburgs Kinder“

Die Tagung am 12. Oktober 2015 sollte Raum geben gute Praxis („Goldstücke“) und Baustellen („harte Nüsse“) aufzuzeigen.

Am Montag, 12. Oktober 2015 veranstaltete die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) in Kooperation mit der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) und der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAG) eine Fachtagung zur Zwischenbilanz des Hamburger Landeskonzeptes „Guter Start für Hamburgs Kinder“. Rund 220 Fachkräfte aus den Frühen Hilfen nahmen an der Veranstaltung im Bürgerhaus Wilhelmsburg teil und diskutierten die weiteren Umsetzungsschritte des Landeskonzeptes entlang der Leitfragen:

Was hat sich bewährt? Was hat sich verändert? Was ist noch zu tun?

Seit 2012 sind in allen Hamburger Bezirken regionale Netzwerke aus- und aufgebaut worden. Die Tagung sollte Raum geben gute Praxis („Goldstücke“) und Baustellen („harte Nüsse“) aufzuzeigen.

Sozialsenatorin Dr. Melanie Leonhard eröffnete die Veranstaltung. Sie sprach den Akteur_innen in den Frühen Hilfen ihre Anerkennung für die geleistete Arbeit aus und lobte die bundesweit vorbildliche Infrastruktur der Frühen Hilfen in den Hamburger Bezirken. Diese seit vielen Jahren entwickelten Strukturen werden seit 2012 mit der Bundesinitiative Frühe Hilfen und ab 2016 mit der Folgefinanzierung unterstützt.

Auf die wertvolle Verknüpfung der Hamburger Strukturen „Landesinitiative Pakt für Prävention“ und „Guter Start für Hamburgs Kinder“ wies Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks hin. Mit dem Rahmenprogramm „Gesund aufwachsen“ im Pakt für Prävention sei bereits 2011 der Grundstein für die Frühen Hilfen Hamburg gelegt worden, auf dem die Bundesinitiative aufbauen konnte. Übergeordnetes Ziel aller Akteur_innen sei es dabei, die Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und Familien von Anfang an und in allen Lebenslagen und -welten zu fördern. 2014 seien in Hamburg 22.500 Kinder geboren worden. Dies sei, so Prüfer-Storcks, eine „schöne Entwicklung, aber auch eine große Verantwortung“. Denn: auch der aktuelle Gesundheitsbericht mache deutlich, dass die Chancen für ein gesundes Aufwachsen immer noch stark mit der sozialen Lage zusammenhängen.

Dr. Dirk Bange, Leiter der Abteilung für Familie und Kindertagesbetreuung in der BASFI benannte die „Goldstücke“ und „harten Nüsse“ der Frühen Hilfen Hamburg. Er hob das gut ausgebaute und differenzierte Hilfesystem in Hamburg hervor und wies deutlich auf die vor allem finanziellen Lücken hin, die die Verbesserung der Infrastruktur erschweren. Die Frühen Hilfen würden nach der Bundesinitiative 2016 zwar mit einem Fonds weitergeführt, jedoch bediene die nicht dynamische Finanzierung die Bedarfe nur unzureichend. Besonders für die zusätzliche Unterstützung von Flüchtlingskindern und ihren Familien müssten zusätzliche Hamburg- und Bundesgelder akquiriert werden. Die Integration von Flüchtlingsfamilien in die Hilfesysteme, aber auch die Erreichung sozial benachteiligter Familien sei eine zentrale Herausforderung für die zukünftige Arbeit der Frühen Hilfen in Hamburg. Bei allem Engagement dürfe dabei nie ein Kernelement der Frühen Hilfen vergessen werden: jede Familie entscheidet selbstständig und freiwillig, ob sie die Hilfsangebote annimmt oder nicht.

Die Verbesserungspotenziale in der Zusammenarbeit zwischen Gesundheitswesen und Jugendhilfe stellte Dr. Stefan Renz, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte im Landesverband Hamburg dar. Auf Seiten beider Akteursgruppen sei das Bewusstsein für die Bedeutung der Kooperation zur Unterstützung von Eltern mit kleinen Kindern vorhanden. Trotzdem, sei „Hamburg aus Sicht der Ärzte aber noch weit entfernt davon das Konzept umzusetzen“, so Renz. Er schlug u.a. vor, in Hamburg die Zusammenarbeit im Tandem zu erproben – denn „nur wenn man sich persönlich kennt, kann man auch gut zusammen arbeiten“. Das NZFH unterstützt die Zusammenarbeit in interdisziplinären Qualitätszirkeln Frühe Hilfen bereits in einigen Bundesländern. Im April 2015 stellte die BASFI in Kooperation mit der HAG dieses Vorgehen im Rahmen der Qualifizierung der bezirklichen Netzwerkkoordinator_innen vor (siehe HAG-Website: Veranstaltung Kooperation Gesundheitswesen - Jugendhilfe).

Einen praxisnahen und familienorientierten Einblick in die Arbeit ‚an der Basis’ vermittelte die Familienhebamme und Netzwerkkoordinatorin für Hamburg-Nord, Gabriele Friederike Biehl. Im Kinder- und Familienzentrum Barmbek Basch ist die Beteiligung der Eltern für sie ein zentrales Anliegen. Ein respektvoller Umgang mit den Familien, die Anerkennung und Förderung der elterlichen Kompetenzen und Ressourcen sowie die Beachtung der Aspekte Freiwilligkeit und Datenschutz sind für sie von zentraler Bedeutung. In der umfänglichen und tiefgreifenden Institutionalisierung sehe sie einen wesentlichen Knackpunkt der Frühen Hilfen. Sie warnte davor, das Netzwerk Frühen Hilfen dürfe kein „Spinnennetz werden, aus dem sich Eltern selbstständig nicht mehr befreien können. […] Wir dürfen [unseren eigenen und auch] den Druck [auf die Familien] nicht zu groß werden lassen“ im Streben nach dem ’optimalen’ Hilfesystem“.

Gute Praxis und Grenzen der Frühen Hilfen Hamburg waren Stichworte für die anschließende Diskussionsrunde. Dr. Regina Fertmann (BGV), Stefanie Neveling (Deutscher Kinderschutzbund e.V. – LV Hamburg), Yvonne Nische (Bezirksamt Hamburg-Nord), Dr. Dirk Bange, Gabriele Friederike Biehl, Nicole Hellwig (Stiftung SeeYou – Babylotsen), Natascha Neben (Pestalozzi-Stiftung) und Petra Hofrichter (HAG) und die Teilnehmenden debattierten zu den Fragen:

  • Was ist gut gelaufen? Wo sind wir an Grenzen gestoßen?
  • Was brauchen wir für die Zukunft, um gut weiterzuarbeiten?
  • Wer kann was dazu beitragen?

Als zentrale ‚harte Nüsse’ wurden der landesweite Hebammenmangel, die nicht dynamische Finanzierung der Frühen Hilfen ab 2016 sowie der Verwaltungsaufwand für die Einladung zur U6/U7-Untersuchung und die damit verbundene Ressourcenbindung von Fachkräften thematisiert.

Des Weiteren wurde die Heterogenität der 25 Familienteams angesprochen. Die gewünschte Zusammenarbeit von Familienhebammen, Sozialpädagog_innen und Familien-Gesundheits-Kinder-Krankenpfleger_innen (FGKiKP) wurde einerseits als sehr erstrebenswert und bundesweit einzigartig gesehen. Andererseits sei die Arbeit „als bewährtes Tandem“ durch den Mangel an Hebammen und finanziellen Ressourcen für Sozialpädagog_innen kaum umzusetzen.

Neveling machte außerdem deutlich, dass die fehlenden finanziellen und zeitlichen Ressourcen für die Leitung der Familienteams die Entwicklung eines gemeinsamen Teamverständnisses und klarer Ziele erschwerten. Dennoch sind die Frühen Hilfen in Hamburg gut aufgestellt. Die Akteur_innen betonten deutlich, wie gerne sie ihre Arbeit machten und dass diese positive Dynamik weiter unterstützt werden müsse.

Die Änderung der Finanzierung und das 2016 in Kraft tretende Präventionsgesetz könnten den Frühen Hilfen Rückenwind geben, der für positive Veränderungen in Hamburg genutzt werden könne.

Alexandra Sann vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) im Deutschen Jugendinstitut e.V. (DJI) knüpfte mit ihrem Vortrag an diese positive Bewertung der Hamburger Grundstrukturen an. Sie hob die Struktur der Familienteams und die modellbildende Arbeit der Babylotsenhervor. Sann betonte, dass die Hamburger ‚harten Nüsse’ auch bundesweit schwer zu knacken seien. In ihrem Vortrag erläuterte sie die Grundstrukturen und Ziele der Bundesinitiative Frühe Hilfen (BIFH). Diese fungiere hauptsächlich als Kommunikationsstruktur über alle Ebenen und finanziere Maßnahmen, die zwischen den Regelsystemen laufen. Mit dem Fonds ab 2016 solle auch der Übergang vom Modell in eine Regelstruktur verbunden sein. Das Präventionsgesetz sieht Sann als Chance, da „aus dem Bereich Gesundheit jetzt ein Ast hinüber zu den Frühen Hilfen wächst“.

Im weiteren Tagungsverlauf stellten die Koordinator_innen ihre bezirklichen Netzwerke vor – wo sie Goldstücke oder harte Nüsse vorfinden. Nach dem Mittagessen informierten sich die Teilnehmenden auf dem Marktplatz der Bezirke und tauschten sich über Entwicklungen, gute Praxis und offene Fragen aus.

Jeder Bezirk hatte die Rahmendaten auf einem Plakat zusammengefasst. Die zusätzlichen Informationen zu Goldstücken, Nüssen und Netzwerkaktivitäten wurden von den Netzwerkkoordinator_innen und ihren Netzwerkpartner_innen farbenfroh und liebevoll gestaltet an den ‚Marktständen’ präsentiert. 
Einen ausführlichen Bericht zum Marktplatz der Bezirke finden Sie zum Download rechts oben auf dieser Seite.

Die kreative Marktgestaltung wurde auch in der Abschlussrunde von Brigitte Hullmann (BASFI) und Dr. Regina Fertmann hoch gelobt. Beide betonten, dass sich in Hamburg schon viel verändert habe und nun daran gearbeitet werden müsse auf Bewährtes aufzubauen, die Netzwerke zu stärken und sie mit Leben zu füllen. Die anstehenden Aufgaben seien weiterhin die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitswesen und Jugendhilfe zu verbessern, eine kultursensible Herangehensweise in den Frühen Hilfen zu entwickeln sowie die fehlenden finanziellen und personellen Ressourcen in den Familienteams, der Mütterberatung und in der Hebammenversorgung anzupacken. Hullmann machte zum Schluss noch einmal deutlich: „die Familien sind der Mittelpunkt unserer Arbeit und sollen in Zukunft mehr miteinbezogen werden".

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