Dokumentation

Fachtag Frühe Hilfen „Guter Start für Hamburgs Kinder: Gelingende Elternschaft – was bedeutet das?"

am 15.11.2021 von 09:00-16:30 Uhr
Rudolf Steiner Haus // Hamburg

Eine Kooperationsveranstaltung der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde) und der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V.

Eröffnung und Impulse

Mütter und Väter sollen vielen Erwartungen gerecht werden: beruflich erfolgreich, in glücklicher Beziehung sowie geduldig, liebevoll und erziehungskompetent mit den Kindern. Auch die eigenen Ansprüche an die Elternrolle sind oft hochgesteckt – nicht selten idealisiert. Viele Familien leben zudem unter schwierigen Bedingungen in Armutslagen, mit Fluchterfahrungen und eigenen biografischen Belastungen. Wie schaffen es Mütter und Väter auch unter vielfältigen Herausforderungen gute Eltern zu sein? Was ist eigentlich gelingende oder ausreichend gute Elternschaft und wer definiert das? Welche Haltung von Fachkräften braucht es gegenüber Eltern, um diese wertschätzend zu unterstützen? Welche durch unsere eigenen Biografien geprägten Erziehungsvorstellungen oder Glaubenssätze leben in uns weiter? Welche Denkanstöße zur Selbstreflektion braucht es?

Um sich diesen Fragen zu widmen, hat die Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde) gemeinsam mit der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e. V. (HAG) zur ganztägigen Fachtagung am 15. November 2023 eingeladen. Über 200 Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen, der Schwangerenberatung, der Familienförderung, der Kinder- und Jugendhilfe und weitere Akteur:innen, die im Arbeitsfeld und den Netzwerken der Frühen Hilfen in Hamburg tätig sind, folgten der Einladung ins Rudolf Steiner Haus.

Dr. Dirk Bange – kommissarischer Leiter des Amtes für Familie der Sozialbehörde – eröffnete stellvertretend für Senatorin Melanie Schlotzhauer die Fachtagung und richtete sein Augenmerk vor allem auf das, was in den Frühen Hilfen in Hamburg bereits erreicht wurde. Mit dem Fachtag werde auch das 10-Jährige Jubiläum der Bundesstiftung nachträglich gefeiert. Angebote der Frühen Hilfen in Hamburg blickten jedoch zum Teil bereits auf eine deutlich längere Geschichte zurück. Er betonte, wie sehr sich das Konzept der Frühen Hilfen bewährt habe und verwies auf einige Meilensteine. Dirk Bange hob die Bedeutung der Arbeit der anwesenden Akteur:innen hervor, bedankte sich besonders für das Engagement während der Corona-Pandemie und für ihre integrative Unterstützung von Familien mit Fluchthintergrund. Zudem stellte er die druckfrische Broschüre „Wer uns begleitet…“ vom Deutschen Kinderschutzbund und der Sozialbehörde vor und bedankte sich bei allen mitwirkenden Kolleg:innen.

Dr. Dirk Bange

Bild Dr. Dirk Bange – kommissarischer Leiter des Amtes für Familie der Sozialbehörde

Anschließend gab Jörg Backes – Fachgebietsleitung im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen – stellvertretend für die Leiterin des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen, Mechthild Paul, einen Überblick über die Entwicklungen in den Frühen Hilfen in Deutschland. Zudem stellte er die bundesweite Repräsentativbefragung „Kinder in Deutschland” (KiD 0-3) vor. Die Ergebnisse der Studie geben einen guten Einblick in die aktuellen Lebenslagen von Familien mit kleinen Kindern (0-3 Jahre) und deren gesundheitliche Situation. Dabei zeigt die Studie unter anderem die erheblichen Belastungen bei Familien in Armutslagen auf. Zusätzlich seien Barrieren bei armutsbetroffenen Familien in der Inanspruchnahme sozialer Leistungen deutlich ausgeprägter. Jörg Backes betonte, dass gerade hier die Frühen Hilfen als Baustein zu mehr Chancengleichheit wichtiger denn je seien.

Jörg Backes

Bild Jörg Backes – Fachgebietsleitung im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen

Susanne Hüttenhain – Landeskoordinatorin der Frühen Hilfen Hamburg – stimmte die Teilnehmenden auf das Thema der diesjährigen Fachtagung ein. An Eltern würden heutzutage, auch durch Einfluss der sozialen Medien, vielfältige Erwartungen gestellt. Susanne Hüttenhain machte deutlich, dass die Darstellung der stets glücklichen Familie nicht der Realität entspricht und betonte die Wichtigkeit, sich dessen immer wieder bewusst zu machen. Die Frühen Hilfen können dabei unterstützen, die heutigen Herausforderungen des Elternseins zu meistern und Eltern in ihrer Rolle zu stärken. Dabei betonte Sie, dass “gelingende Elternschaft” in einer diversen Gesellschaft nicht einheitlich definiert sein kann. Gerade die Frühen Hilfen können hier Haltungsarbeit leisten sowie zum Gelingen verschiedener Elternschaften beitragen. Mit der Fachtagung solle hierfür Impulse und Raum für Diskussionen für alle Teilnehmenden gesetzt werden.

Susanne Hüttenhain

Bild Susanne Hüttenhain – Landeskoordinatorin der Frühen Hilfen Hamburg

Impulse der Fachtagung 2021 „Väter in den Frühen Hilfen“

Rückblickend auf die Fachtagung 2021 „Väter in den Frühen Hilfen“ stellten Max Steinau (Elternschule Hohenhorst), Daniel Manwire (Basis und Woge e.V.), Agnes Mali (Netzwerkkoordination Frühe Hilfen Altona) und Gabriele Biehl (Netzwerkkoordination Frühe Hilfen Hamburg Nord) Väterprojekte aus den Bezirken vor. Im Austausch mit der Moderatorin Anita Hüseman teilten sie Konzepte, Erfahrungsberichte wie auch Herausforderungen ihrer Arbeit. Mit ihrer Expertise konnten sie wichtige Impulse für bestehende und zukünftige Väterprojekte geben. Die teilnehmenden Projekte wurden darüber hinaus mit Steckbriefen im Foyer vorgestellt.

Impulse der Fachtagung 2021 „Väter in den Frühen Hilfen“

Bild Rückblick auf die Fachtagung 2021 „Väter in den Frühen Hilfen“

Fachvorträge

Fachvortrag 1

Mit der Bewusstmachung der eigenen Glaubenssätze eröffnete Prof. Dr. Barbara Thiessen – Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld – den ersten Fachvortrag. In ihrem Vortrag „Glück, Alltag und Belastungen – Trends im Familienleben“ gab sie eine Einführung in die Thematik und einen Überblick zu Familienmodellen unterschiedlicher sozioökonomischer Rahmenbedingungen.

Barbara Theissen zeigte, dass sich in den letzten Jahren vor allem vielfältigere Lebensformen, eine wachsende kulturelle Vielfalt und eine spätere Familiengründung als Trends abzeichnen. Sichtbar werde ein Optimierungsstreben bei der Erziehung und ein Verantwortungsgefühl für den Schulerfolg der Kinder bei den Eltern. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie Familien aufgrund wegfallender äußerer Strukturen an Form verloren haben. Mit dem Konzept des „Doing Family“ würde der Blick auf die Vielfalt, wie Familie alltäglich hergestellt wird, geschärft werden. Zugleich zeige sich damit, welchen Einfluss Interventionen von Fachkräften auf das Familienleben haben. Gelingende Elternschaft bleibe aber ein breiter Korridor, zu dem auch das Misslingen gehöre. Barbara Thiessen plädierte daher für die Abkehr von Perfektion mit dem Vorschlag einer „good-enough family“, also einem ausreichend guten Familienleben.

Prof. Dr. Barbara Thiessen

Bild Prof. Dr. Barbara Thiessen – Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld

Zwischenreflexion

Während einer Zwischenreflexion leitet Anita Hüseman kleine Gruppen der Teilnehmenden zu einem Austausch über vertraute Glaubenssätze und Bilder zu Familie und Elternschaft an. Mittels einer anonymen Abfrage wurden diese auf der Leinwand für alle sichtbar gemacht.

Zwischenreflexion

Bild Zwischenreflexion

Fachvortrag 2

Aus bindungstheoretischer Perspektive leistete PD Dr. Carola Bindt – stellvertretende Klinikdirektorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie – einen Beitrag zur Fachtagung. In ihrem Vortrag „Bindungsorientierung in der klinischen Praxis: Ideal und Stolpersteine“ zeigte sie die vor 50 Jahren postulierte Bindungstheorie nach John Bowlby auf. Die Bindungstheorie sei heute in der Psychologie und Pädagogik die einflussreichste Theorie zwischenmenschlicher Bezogenheit. Aktuell setze sie die Standards dafür, was gesunde Beziehungen ausmache, präge Eltern und Professionelle gleichermaßen und auch die Vorstellungen von psychischer Gesundheit. Carola Bindt hinterfragte dies kritisch: Sind bindungstheoretische Postulate überhaupt universell anwendbar und in unserer multikulturellen Gesellschaft gültig? Ist die „sichere Bindung“ ein Garant für eine unbelastete Entwicklung oder schafft die Zentrierung hierauf nicht auch Probleme, denen wir uns stellen müssen, wenn wir zukunftsgerichtet agieren wollen? Sie führte entsprechende Studien auf und regte die Teilnehmenden dazu an, die eigenen Haltung zu reflektieren und um neue Gedanken zu erweitern.

PD Dr. Carola Bindt

Bild PD Dr. Carola Bindt – stellvertretende Klinikdirektorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

Workshops

Parallellaufende Workshops zur Information und zum fachlichen Austausch

Alle Teilnehmenden konnten am Nachmittag zwei Workshops besuchen. Die Workshops näherten sich der Frage der gelingenden Elternschaft aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie ermöglichten neben einem Input durch die Expert:innen, den Transfer in die berufliche Praxis sowie Austausch und Diskussion.

Im Workshop I von Claudia Kolander und Frank Hüttmann setzten sich die Teilnehmenden mit der Frage auseinander, wie Elternschaft in Krise und Trennung gelingen kann.

Der Workshop II mit Gülcan Yoksulabakan widmete sich dem Umgang und der Unterstützung von Eltern mit Kindern mit Rassismuserfahrungen.

Der Workshop III rückte die Eltern von Kindern mit gesundheitlichen Belastungen in den Vordergrund. Dagmar Lettner und Svenja Rostosky beleuchteten die Bedeutung der gelingenden Elternschaft unter diesem Aspekt.

Birgit Augustin und Meike Kollmeyer gaben den Teilnehmenden im Workshop IV Einblicke, wie mit Entwicklungspsychologischer Beratung (EPB) Eltern der Rücken gestärkt und Kinder durch Entwicklungskrisen begleiten werden können.

Im Workshop VI beleuchtete Prof. Dr. Felix Manuel Nuss, was eine willensorientierte Haltung bedeutet, besonders unter dem Aspekt der gelingenden Elternschaft.

Der Workshop VII, moderiert von Daniel Manwire, lud ein zum offenen Austausch und zur Vernetzung zu Vätersichtweisen und Väterprojekten in den Frühen Hilfen.

Im Workshop VII zeigten Gabriele Friederike Biehl und Helmut Szepansky den in Hamburg-Nord entstandenen Film „Papa, erzähl doch mal!“ mit anschließender Diskussionsrunde.

Amna Janne Akeela blickte im Workshop VIII auf die vielfältige Lebenswelt von armutsbetroffenen Familien und wie die eigene Haltung die Arbeit in den Frühen Hilfen beeinflusst.

Workshop II | Rassismuserfahrung

Workshop VI | Vater-Kind Angebote

Workshop VII | Väter-Film

Link zum Film: https://youtu.be/pN98PKZGioY

Gemeinsamer Abschluss im Foyer

Beim gemeinsamen Abschluss im Foyer sammelte Anita Hüseman verschiedene Eindrücke und Handlungsimpulse bei den Teilnehmenden ein. Susanne Hüttenhain bedankte sich bei allen Beteiligten, der Vorbereitungsgruppe und dem Team der HAG. Zudem fand sie bestärkende und wertschätzende Worte für alle Akteur:innen der Frühen Hilfen.

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