Dokumentation

Fachtagung
Frühe Hilfen „Guter Start für Hamburgs Kinder“

Der fachliche Austausch und die Weiterentwicklung als lernendes System standen bei der Tagung am 17. Mai 2017 im Mittelpunkt.

Plenum bei einer großen Fachtagung

Der Strukturaufbau der Frühen Hilfen in Hamburg, mit den Kernelementen „regionale Netzwerke“, „Babylotsen Hamburg“ und „multiprofessionelle regionale Familienteams“, ist in allen sieben Bezirken abgeschlossen. Um gemeinsam einen Blick auf das Erreichte zu werfen veranstaltete die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) in Kooperation mit der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) und der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAG) am 17. Mai 2017 die Fachtagung Frühe Hilfen „Guter Start für Hamburgs Kinder“.

Rund 200 Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen, der Kinder- und Jugendhilfe, der Familien- und Frühförderung, der Schwangerenberatung sowie viele weitere Akteure der Frühen Hilfen nahmen an der Veranstaltung in der Patriotischen Gesellschaft teil. Neben der Möglichkeit zu einem fachlichen und regionalen Austausch, sollte die Fachtagung auch dazu beitragen die Frühen Hilfen als ein ler-nendes System weiterzuentwickeln.

Sozialsenatorin Dr. Melanie Leonhard eröffnete die Veranstaltung und begrüßte alle Anwesenden, auch im Namen ihrer Kollegin Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks. Leonhard betonte, dass die Frühen Hilfen auch weiterhin ein Gemeinschaftsthema seien und lobte den Fortschritt seit der Zwischenbilanztagung im Jahr 2015. Sie bestärkte die anwesenden Akteure darin, dass jede/r Einzelne dazu beigetragen habe, die interdisziplinäre Zusammenarbeit und enge Vernetzung der Frühen Hilfen in Hamburg weiter auszubauen.

Einige harte Nüsse konnten geknackt werden. So wurden zusätzliche Mittel für die Unterstützung geflüchteter Familien durch die Familienteams bereitgestellt. Auch wurde die Kooperation mit den Kinderärzten intensiviert. Dennoch sieht Leonhard noch einige Baustellen, wie die Schwierigkeit geeignete Fachkräfte zu finden und den Wunsch nach mehr Aus-tausch mit den Kinderärzt_innen.

Die umfangreichen Dokumentationsaufwendungen bewertete sie sowohl als harte Nuss als auch als Goldstück. Das Berichtswesen helfe Rückschlüsse auf erfolgreiche Angebote und Bedarfe zu ziehen und trage dazu bei, die Frühen Hilfen stetig weiterzuentwickeln und zu verbessern. Leonhard rief die Akteure dazu auf auch weiterhin Fachtagungen zu besuchen und ihre Erfahrungen sowie Kritik auszutauschen. Die anwesenden Fachkräfte wüssten genau was die Familien für einen guten Start ihrer Kinder ins Leben benötigen, welche Angebote sie dabei unter-stützen und an welcher Stelle noch geeignete Maßnahmen fehlen. Nur so könne das Netzwerk im Sinne der Familien der Stadt gestärkt werden.

Brigitte Hullmann von der BASFI und Holger Hanck von der BGV stellten in ihrem Vortrag ausgewähl-te Ergebnisse aus zwei Jahren Berichtswesen der Familienteams vor. In Hamburg arbeiten in derzeit 25 Familienteams Sozialpädagog_innen, Familienhebammen und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen zusammen, um Familien in psychosozialen Belastungssituationen zu unterstützen und ihre Kompetenzen zu stärken, so Hullmann.

Insgesamt stünden für das Jahr 2017 2,6 Mio. Euro für die Familienteams zur Verfügung. Die Inanspruchnahme der verlässlichen Hilfen ist von 2015 auf 2016 um 35% gestiegen, was insbesondere auf die Zuwanderung von Familien zurückzuführen sei. Rund ein Viertel aller Familien, die von den Familienteams begleitet werden, haben einen Fluchthintergrund. Das Thema Migration und Flucht nehme daher an Bedeutung für die Beratung zu, ebenso wie psychische Belastungen und Suchtprobleme, so Hullmann. 85% der unterstützten Familien werden von den Familienteams vor oder während den ersten drei Monaten nach der Geburt erreicht und in ebenso vielen Fällen wird die Hilfe innerhalb eines Jahres beendet.

Während 2016 35% der Hilfesuchenden aus eigener Initiative an die Teams herantraten, wurden viele Familien auch von den Babylotsen, dem ASD, den freiberuflichen Hebammen oder den Einrichtungen für Flüchtlinge übermittelt. Holger Hanck betonte, die hohe Eigeninitiative zeige, dass die Familienteams in den Stadtteilen bekannt und in den Frühen Hilfen gut verwurzelt seien. Auch der Rückgang des Verdachts auf Kindeswohlgefährdung spreche für die frühzeitige und professionelle Hilfe der Familienteams. Die Experten schlussfolgerten, dass grundsätzlich die Richtigen frühzeitig erreicht würden. Trotz großer Herausforderungen, wie dem Fachkräftemangel und der Integration der Flüchtlinge, stimme der Kurs der Familienteams, so Hullmann.

Einen kurzen Einblick in den aktuellen Stand der Arbeit in den Bezirken gaben die Netzwerkkoordinatorinnen anhand folgender Leitfragen: Was ist in den letzten Jahren gut gelaufen? Was war nicht so gut? Welche Rolle spielen die Familienteams in der Frühen Hilfe heute? Optimierung der Zugangswege – Ausweitung der Netzwerke? Wo gibt es noch Baustellen und Verbesserungsbedarf? Was hat sich konkret durch die hohe Flüchtlingszahl verändert.

Barbara Hornack-Lange (Bezirk Wandsbek) berichtete, dass in Wandsbek drei neue Projekte, darun-ter eins für Familien mit Fluchterfahrung, aufgebaut werden konnten. Die Arbeit der Netzwerkakteu-re habe sich bewährt, so Hornack-Lange. Als Herausforderung benannte sie, dass nicht alle Stadtteile mit Familienteams ausgestattet werden konnten, trotz zusätzlich bereitgestellter Mittel. Horst Sell-husen (Hamburg-Nord) berichtete, dass derzeit an der Schnittstelle der Babylotsen in den Geburts-kliniken zu den Familienteams gearbeitet wird. Bisher suchen die meisten Familien die Familienteams aus eigener Initiative auf.

Dass sich die Rolle der Familienteams verändert hat, betonte Angelika Hoffmann aus dem Bezirk Hamburg-Mitte. Während die Familienteams früher eher eine ergänzende Unterstützung für die Familien waren, seien sie heute bereits in der Schwangerschaft die erste Anlaufstelle. Die Teams seien bekannt und genießen hohes Vertrauen, so Hoffmann, leider seien Ressourcen häufig zu knapp, um die Familien intensiver und länger zu unterstützen. Mona Zomm (Harburg) wies auf die hohe Fluktuation von Kooperationspartnern hin, welches die langfristige Zusammenarbeit erschwere, ebenso den Mangel an Hebammen, Kinderärzt_innen und KiTa-Plätzen. Der bereits von Brigitte Hullmann und Holger Hanck erwähnte Anstieg der Zuwanderung von Familien mit Fluchterfahrung erfordert insbesondere in den Bezirken Bergedorf und Altona im Rahmen der Frühen Hilfen die Entwicklung von neuen Zugangswegen.

Carola Miehe (Bergedorf) äußerte die Sorge, dass in Flüchtlingsunterkünften keine kindgerechte Umgebung gegeben sei.. Insbesondere die Sprachbar-riere stelle die Beratung vor große Herausforderungen und mache den Bedarf an weiteren Dolmet-schern notwendig, so Miehe. Agnes Mali (Altona) ergänzte, dass Angebote in Altona bereits ausge-baut und neue Angebote geschaffen wurden, die Begegnung zwischen Stammnutzern und der neuen Zielgruppe jedoch noch gefördert werden müsse. Von 104 betreuten Familien haben 42 einen Flucht-hintergrund, so Mali. Auf die Frage, wie es den Familienteams gelingen kann auf die besonderen Lebenslagen einzugehen, antwortete Stephanie Ganske (Eimsbüttel), dass neue Konzepte mit neuen Zugangswegen notwendig seien. Eine Anlaufstelle für Anfragen, Angebote und die Begleitung der Hilfesuchenden zu den Angeboten könnten hilfreich sein.

Im Anschluss arbeiteten die Teilnehmenden in drei parallellaufenden Foren zusammen: Forum I „Eltern in der Selbstorganisation stärken“ wurde von Kirsten Rabiega vom KiFaZ Hamburg-Langenhorn, gemeinsam mit zwei Müttern des Elternkreises Langenhorn, und Martina Erpenbeck vom Familienratsbüro PFIFF gestaltet. Stephanie Ganske vom Kinderschutzzentrum Hamburg und Maria Grüber von der Beratungsstelle Frühe Hilfen Harburg und Süderelbe informierten gemeinsam in Forum II über das Thema „Gemeinsam Sicherheit gewinnen – Tragfähige Kooperation als Basis für Handlungsfähigkeit in Kinderschutzfällen“. In einem dritten Forum beschäftigten sich Mareike Paulus vom Deutschen Jugendinstitut in München und Dr. Christine Tuschinsky vom Diakonischen Werk Hamburg mit dem Thema „Kultursensibilität im Umgang mit Familien mit Fluchterfahrung“.

Am Nachmittag lenkte Prof. Dr. Jörg M. Fegert vom Universitätsklinikum Ulm den Blick der Anwesenden auf die Gruppe der Eltern mit psychischen Erkrankungen. Psychische Erkrankungen können sehr unterschiedlich und phasenartig verlaufen, beruhen oftmals auf Misshandlungserfahrungen und verursachen nicht selten eine gestörte Interaktion zwischen Kind und Eltern, so Fegert. Probleme in der kontinuierlichen Versorgung der Kinder, wenig soziale Unterstützung durch die eigenen Eltern, Weitergabe der Misshandlungserfahrungen an die eigenen Kinder oder die Angst vor den Jugendämtern mache die Betroffenen zu einer wichtigen Zielgruppe für die Frühen Hilfen, die im Vergleich zu anderen Betroffenen nur selten aus eigener Initiative Hilfe in Anspruch nehme.

Fegert betonte, dass es zum Teil bereits gute Versorgungssysteme für junge Familien gäbe, allerdings sieht er Verbesse-rungsbedarf in der Koordinierung von Hilfen und Angeboten aus unterschiedlichen Systemen. Eine bessere systematische Vernetzung aller beteiligten Akteure sowie verbindliche Kooperationsstrukturen und Standards für die interdisziplinäre Versorgung seien dringend notwendig, so Fegert. Eben-so sei eine gemeinsame interdisziplinäre Sprache erforderlich, weshalb Prof. Dr. Fegert eindringlich an alle Anwesenden appellierte, die eigenen Befunde so zu kommunizieren, dass auch Fachkräfte aus anderen Bereichen die Ergebnisse richtig deuten können.

Nach Reflexion des Vortrages von Prof. Dr. Fegert folgte ein fachlicher Austausch auf (überbezirklicher) Ebene. Stimmen aus dem Plenum forderten, dass weiterhin stark an der Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen gearbeitet werden müsse. Auch müssten die diskriminierenden Systeme überdacht werden und Präventionsangebote breiter angelegt und für alle attraktiv gemacht werden. Den Wunsch einer Sozialarbeiterin die Zusammenarbeit zwischen Ärzt_innen und den Frühen Hilfen zu festigen bekräftigte Prof. Dr. Fegert, indem er auch Psycholog_innen und Psychiater_innen aufrief besser mit den Frühen Hilfen zu kooperieren und die Angebote der Hilfen an Betroffene zu kommunizieren und diese weiterzuleiten.

Dialogzeit 1

Die anschließende Dialogzeit nutzten die Teilnehmenden die Inputs und Impulse des bisherigen Fachtags und den Vortrag von Prof. Fegert anhand der Fragen Was nehmen wir für unseren Bezirk mit? Was lernen wir aus dem heutigen Tag? Wo sehen wir Entwicklungschancen? gemeinsam zu reflektieren. Im darauffolgenden Austausch im Plenum wurden folgende Impulse von den Teilneh-menden formuliert: Verstetigung der Angebote anstatt immer mehr neue Angebote zu entwickeln.

Attraktive Gestaltung der Angebote um eine breite Zielgruppe anzusprechen. Sicherstellung, dass die Informationen zu den Angeboten früher an die (werdenden) Eltern herangetragen werden. Betei-ligung der Familien im Umgang mit Familien anderer Kulturen ist die Metapher des „kulturellen Pendels“. Strukturell verankerte Dolmetscher werden gebraucht um Beratungsgespräche zielgerich-teter durchführen zu können.

Die Frage, wie es nun mit den Frühen Hilfen weitergeht, richtete die Moderatorin an Brigitte Hullmann und Holger Hanck. Die Tagung habe insbesondere das Thema psychisch erkrankter Eltern und die noch ausbaufähige Vernetzung mit den Psychotherapeutinnen und -therapeuten ins Bewusstsein geholt. Hullmann hob auch das Thema Partizipation noch einmal hervor und unterstrich, dass die Frühen Hilfen so aufgebaut sein sollen, dass die Interessen und Bedürfnisse der Eltern Berücksichtigung finden. Holger Hanck schlug daher vor, das Thema „Arbeit mit Familien mit Fluchterfahrung“ stärker in die Aus- und Weiterbildungen zu integrieren.

Frau Hullmann wird zum Sommer die BASFI verlassen und verabschiedete sich von allen Beteiligten. Holger Hanck und Petra Hofrichter (HAG) dankten Brigitte Hullmann für die gute Zusammenarbeit.

Nach obenTeilenDrucken

Seitenbereichsmenü

Nach dem Ende des Seitenbereichsmenü zurück zum Anfang des Seitenbereichsmenü